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Sind Unternehmen ohne Resilienz zum Scheitern verurteilt?

In Zeiten der geopolitischen Zeitenwende müssen sich Unternehmen auf ganz neue Herausforderungen einstellen. Zwar gab es seit Menschengedenken Krisen und Umweltereignisse, die den Geschäftsbetrieb stören oder sogar temporär stilllegen konnten, doch seit einigen Jahren sind es zunehmend politische Verwerfungen, die Unternehmen direkt treffen.

Seitdem die USA die Rolle des Hüters der stabilen Weltordnung aufgegeben haben und die unipolare Weltordnung durch eine im Entstehen begriffene multipolare Ordnung abgelöst wurde, bestimmen Handelskriege, Embargos, Sanktionen sowie Schutz- und Strafzölle das wirtschaftliche Tagesgeschehen. Durch frühzeitige Identifizierung entsprechender Risiken, etwa in den internationalen Lieferketten, lassen sich Maßnahmen ergreifen, die Unternehmen widerstandsfähiger machen. Resilienz bedeutet in diesem Zusammenhang die Fähigkeit eines Unternehmens, gegenüber Störungen oder Krisen robuster zu werden und nach einer Unterbrechung kritischer Kernprozesse schneller in den Ursprungszustand zurückzukehren. Wir nennen dies Bewältigungsfähigkeit.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass Resilienz in den letzten Jahren zu einem Modewort geworden ist, das in nahezu allen Lebensbereichen Verwendung findet. Die einen sprechen von der Stärkung der Resilienz der Gesamtbevölkerung im Hinblick auf hybride Kriegsführung, andere von Unternehmensresilienz und wieder andere von der Widerstandsfähigkeit von Individuen gegenüber Krankheiten.

In diesem Beitrag geht es ausschließlich um die Perspektive von Unternehmen. Als Vertreter eines Beratungsunternehmens, das sich seit 30 Jahren mit Logistik beschäftigt, kann ich sagen, dass wir uns immer schon mit der Absicherung von Lieferketten befasst haben. Risikoanalysen mündeten in detaillierten Notfall- und Wiederanlaufplänen. In anderen Unternehmensbereichen dominierten jedoch lange Zeit vor allem Themen der Prozessoptimierung und Effizienzsteigerung. Hier fällt das Umdenken bisweilen schwerer.

Nehmen wir als Beispiel den Bereich Personal. Dort stand bisher meist die Einsparung von Stellen durch Prozessautomatisierung im Vordergrund. Das war verbunden mit der Erwartung, dass das verbleibende Personal immer mehr Aufgaben übernimmt. Gerade in Branchen, die auf hochqualifiziertes Fachpersonal angewiesen sind, zeigen sich künftig jedoch gleich zwei zentrale Herausforderungen.

Erstens kann Personal in Krisen kurzfristig ausfallen. Zweitens wird die demografische Entwicklung in den kommenden zehn Jahren durch das altersbedingte Ausscheiden der Babyboomer zu massiven Lücken führen, die nachrückende Jahrgänge nicht mehr schließen können. Personal wird damit zu einer kritischen Ressource.

Vielen Unternehmen ist diese Dimension allerdings noch nicht bewusst. Nur wer attraktive Arbeitszeit- und Vergütungsmodelle, ein überzeugendes Umfeld sowie gute Standortfaktoren bietet, wird in der Lage sein, Fachkräfte dauerhaft zu binden und neue zu gewinnen. Für Unternehmen in peripheren, strukturschwachen Regionen wird dies besonders schwer. In Zeiten zunehmenden Wettbewerbs um Mitarbeiter ist naheliegend, dass nur die besten Arbeitgeber bestehen werden.

Es geht also nicht mehr allein um die Effizienz von Prozessen oder Personal. Denn was nützt der effizienteste Prozess, wenn niemand mehr da ist, ihn zu steuern oder zu bedienen? Im Ernstfall steht dann das gesamte Geschäftsmodell in Frage. Wer resilient sein will, darf Effizienz zwar nicht aus den Augen verlieren, muss aber gezielt investieren, um Geschäftskontinuität zu gewährleisten.

Das kostet alles Geld. Je früher Unternehmen dies akzeptieren, desto wirkungsvoller können sie sich gegenüber Krisen schützen. So treffen sie weder unvorbereitet ein noch werden sie von deren Wucht überrascht. Das kürzlich vom Kabinett beschlossene KRITIS-Dachgesetz, das voraussichtlich ab dem kommenden Jahr scharf gestellt wird, leistet in diesem Zusammenhang bereits einen wichtigen Beitrag, wenngleich es sich zunächst nur auf Unternehmen der kritischen Infrastruktur bezieht.

Resilienz darf dennoch nicht binär als bloßes Abhaken einer gesetzlichen Vorgabe verstanden werden. Resiliente Organisationen entwickeln sich von innen heraus, bauen kontinuierlich Resilienzkompetenz auf und verankern diese in allen Unternehmensbereichen. Deshalb darf das Thema auch nicht allein im Notfall- oder Krisenmanagement verortet sein, sondern muss als ganzheitliche Unternehmensaufgabe von der Geschäftsführung orchestriert und unterstützt werden.

Das Denken in „Was-wäre-wenn“-Szenarien muss Teil der Grund-DNA jedes Unternehmens werden. Wenn jede Abteilung ihre Achillesferse kennt, kann sich das Unternehmen als Ganzes vorbereiten. Resilienz darf dabei nicht als Bürde, sondern muss als zentrale Schlüsselkompetenz verstanden werden.

Fazit: Effizienz ist und bleibt wichtig, darf jedoch nicht mehr zu Lasten der Resilienz gehen. Die jüngsten Entwicklungen haben eindrucksvoll gezeigt, wie schnell Geschäftsmodelle trotz hocheffizienter Prozesse und wettbewerbsfähiger Produkte an ihre Grenzen stoßen können, wenn äußere Einflüsse zuschlagen. Mit Resilienz allein lassen sich Unternehmensziele nicht erreichen, ohne Resilienz sind sie jedoch langfristig zum Scheitern verurteilt.

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Autor

Boris van Thiel

Mitglied der Geschäftsleitung, LMBG GmbH

Boris van Thiel ist Diplom-Geograf und Unternehmer, der 20 Jahre in den Golfstaaten gelebt und gearbeitet hat. Derzeit ist er Mitgeschäftsführer der LMBG Logistik- und Managementberatung GmbH in Berlin. Als Initiator und Macher des Fachblogs Boardroom Geopolitics beleuchtet er die strategische Bedeutung geografischer Zusammenhänge für die Wirtschaft und Unternehmen und beschäftigt sich eingehend mit dem Zusammenhang zwischen Führung und geopolitischen Herausforderungen für Entscheider und Wirtschaftlenker. Er ist zu erreichen unter borisvanthiel@boardroomgeopolitics.de.